Aus dem Gerichtssaal: Eine Todsünde

Kevin L. hat bei einem Verkehrsunfall einen Menschen getötet. Dafür verurteilte ihn das Gericht nun zu zehn Monaten Jugendstrafe auf Bewährung, sechs Monaten Fahrerlaubnisentzug und 120 Stunden Sozialarbeit.

Meiningen/Hildburghausen - Am 13. Januar, einem bitterkalten Morgen, fuhren zwei Männer von zu Hause weg. Der eine kam aus Hildburghausen, der andere aus Urnshausen im Wartburgkreis. Zwischen Vachdorf und Belrieth trafen sich ihre Fahrzeuge und prallten aufeinander. Für den 37-jährigen Mann aus Urnshausen endete das Leben um 8.45 Uhr an diesem Tag. Er wurde Opfer jugendlichen Leichtsinns. Er starb, eingeklemmt in seinem Auto. Für den 20-Jährigen aus Hildburghausen endete das physische Dasein zwar nicht, aber seit diesem Tag ist auch für ihn nichts mehr, wie es war.

Vor dem Amtsgericht Meiningen musste er sich nun verantworten. Wegen fahrlässiger Tötung eines Menschen. Denn der junge Mann hatte in einer lang gezogenen, absolut uneinsehbaren, Kurve nach Vachdorf überholt. Er hatte, wie eine Anwältin der Hinterbliebenen es formulierte, die "Todsünde aller Autofahrer begangen." Auf winterlich glänzender Straße war er mit mindestens 125 Kilometer pro Stunde zuerst an einem Auto vorbei gezogen. Die junge Frau am Steuer hielt die Luft an, bremste, damit Kevin L. vor ihr einscheren konnte. Doch L. nutzte diese - letzte - Chance nicht, die sich ihm durch die Umsicht der jungen Krankenschwester bot. Er fuhr auch noch an dem Lastwagen vorbei. Und dann tauchte im Gegenverkehr das Auto des 37-Jährigen auf. Der Brummi-Fahrer trat auf die Bremse, so gut er konnte. Aber L. schaffte es nicht mehr, die Gegenfahrbahn zu verlassen.

Im Gerichtssaal saßen nun die Familien des Opfers und die des Angeklagten. Den Vätern und Müttern, den Großeltern - allen stand der Gram auf der Stirn geschrieben. Kevin L. selbst weinte unaufhörlich, entschuldigte sich. Es war zu spüren, dass die Hinterbliebenen des 37-jährigen Mannes keinen Hass hegten. Sie waren nur sprachlos und unendlich traurig. Denn aus ihrer Mitte war ein Sohn und ein Vater gerissen worden. Das Opfer, ein Weltenbummler, der sich nach einer dreimonatigen Motorradtour durch aller Herren Länder gerade sesshaft machen wollte, der mit seiner neuen Liebe und deren kleinem Sohn ein neues Leben beginnen wollte, der fehlt nun. Für immer. Fast zur gleichen Minute, in dem er ums Leben kam, hatte seine Freundin daheim seinen Eltern verkündet, dass sie ein Kind erwartet. Der 37-Jährige war frohen Herzens weggefahren. Er wollte nur zur Arbeit. Seine kleine Tochter wird jetzt ohne Vater aufwachsen.

Kevin L. fuhr an diesem Morgen nach Meiningen, zum Unterricht, hatte es eilig. Seinem Anwalt blieb nur zu sagen: "Wenn ich hier raus gehe, bin ich genauso erschüttert wie alle".

Amtsrichter Torten Steiner hielt es wie immer nach solchen Verhandlungen. Er sagte: "Keine Strafe kann das Rad zurück drehen. Es gibt keine Wiedergutmachung und es gibt keine Gleichheit für die Tat, deren Folgen und die Strafe." Kevin L. wurde wegen der Schwere der Schuld zu zehn Monaten Jugendstrafe auf Bewährung, weiteren sechs Monaten Fahrerlaubnissperre und 120 Stunden Sozialarbeit verurteilt. Der schmächtige junge Mann will noch sein Abitur machen und Arzt werden - sicher, weil er sich wünscht, dann Leben zu retten.

Von Ina Talar